Über Lukas 6,36–42 – Dr. Bernd Krebs
Dr. Bernd Krebs
5. Juli 2009
„Feed – back“/ „Rückmeldung“ ist heute ein zentraler Begriff in der Unternehmensfürhung. Der Begriff steht für eine Kultur der Transparenz – nicht nur zwischen „Gleichrangigen“, sondern auch zwischen „Untergebenen“ und „Vorgesetzten. Deshalb gibt es in vielen Firmen, auch in der Kirche das sogenannte „Führungs-Feedback“ – das heißt die Möglichkeit der „Rückmeldung“ der „Untergebenen“ an ihre Vorgesetzten.
Wenn das Ausdruck dafür ist, dass Menschen tatsächlich einbezogen werden ... Gut! Aber wenn es Teil der allgegenwärtigen „Selbstinszenierung“ ist, dann geht es allein darum: darauf zu achten haben, wie wir auf andere „wirken“ – denn davon, wie wir „rüberkommen“ und andere uns einschätzen hängt fast alles ab! Wir sind gezwungen uns selbst zu inszenieren – möglichst gut und wirkungsvoll – um „gut dazustehen“. Denn nichts ist heute schlimmer als „peinlich“ zu sein! Sich „lächerlich“ gemacht zu haben! Wo das „Ansehen“ fehlt, bricht alles zusammen. Charakteristisch ist für unsere Gesellschaft heute: Das Urteil der Anderen ist zur höchsten Instanz geworden und nicht mehr Gott.
Die Frage nach dem „gnädigen Gott“ hat sich in die Frage nach dem „gnädigen Nächsten verwandelt“ – so hat es ein methodistischer Kollege dieser Tage auf den Punkt gebracht. „Na und?“, wird mancher einwenden: Lieber bei den Kollegen „gut“ wegkommen, denn davon hängt heute sehr viel, wenn nicht gar alles ab ...!
Doch Halt: Nach welchen Mechanismen diese „Rückmeldungen“ häufig funktionierern, dafür gibt es in Lk 6, 36-42 eine Vielzahl von Beispielen. Hinter der Maske des scheinbar zugewandten, verständisvollen „Feed-Back“ verstecken sich nicht selten Unbarmherzigkeit und mangelnde Großzügigkeit.
Oder es greift der Mechanismus der Projektion, den wir alle kennen: Weil ich das Dunkle, das Schattenhafte an mir schwer ertragen kann, versuche ich, es bei „den anderen“ festzumachen und anzuprangern.
Gibt es einen Ausweg? Ein recht verstandenes „feed-back“, das den Anderen in seiner Persönlichkeit achtet, wird den Anderen nicht „runtermachen“, sondern „positiv“ reden. Und: Am Ende sollten beide Seiten sich auf ein gemeinsam getragenes Resümee einigen können. Das geht nur, wenn jeder/jede um die Grenzen weiß, die zu jedem Menschen dazu gehören. Der Ruf nach „Perfektion“ ist noch immer eine direkte Einladung zur Heuchelei.
Die Frage nach dem „gnädigen Gott“ hat sich in die Frage nach dem „gnädigen Nächsten verwandelt“ – sagte ich. Der „gnädige Nächste“ aber wird immer nur so weit/so lange „gnädig“ sein, wie es sich rechnet. Damit aber wird „Gnade“ pervertiert.
Denn Gnade ist – nach biblischen Verständnis – unverrechenbar. Es gibt für sie keinen Maßstab. Sie ist frei und an nichts gebunden als an sich selbst. Sie bedarf, um wirksam zu werden, keiner „Vorleistung“: weder einer „guten Performance“, noch eines „sicheren Auftretens“, noch der Fähigkeit, „sich gut rüberbringen zu können“.
„Sola gratia“ – das ist die Grundeinsicht der Reformation. Gott nimmt den Menschen an – nicht den „Idealmenschen“, der nach „Perfektion“ strebt, sondern den sich selbst immer wieder gefährdenden Menschen, den, der den sich selbst auferlegten „Leitbildern“ nicht genügt und darum sich mmer wieder gezwungen sieht, seine „Performance“ noch weiter zu verbessern ... Gott nimmt den „wirklichen Menschen an“, aus Liebe, aus Gande, aus Solidarität mit ihm.
Oder mit den Worten D. Bonhoeffer umschrieben: „Während wir uns bemühen über unser Menschsein hinauszuwachsen, den Menschen hinter uns zu lassen, wird Gott Mensch und wir müssen erkennen ... Gott will, dass auch wir ... wirkliche Menschen sind. Während wir unterscheiden zwischen Frommen und Gottlosen, Guten und Bösen, Edlen und Gemeinen, liebt Gott unterschiedslos den wirklichen Menschen“.
Daher duldet Gott es auch nicht, dass wir die Welt und die Menschen einteilen nach unseren Maßstäben und uns zu Richtern über sie aufwerfen.
Wie kommen wir aus der Richterattitüde heraus?
Indem wir unsere Begrenztheit annehmen – und nicht mehr einem „Idealtypus“, einem „virtuellen Bild vom Menschen“ folgen. Und: indem wir „Barmherzigkeit üben“ und uns großzügig zeigen, weil Gott uns gegenüber barmherzig und großzügig ist. Der Grund für die Barmherzigkeit liegt ja – Gott sei Dank – nicht in uns selbst, sondern in Gott. Von ihm erfahren wir, was wir anderen weitergeben sollen.
Ich sagte: Ein angemessenes „feed-back“ achtet die Persönlichkeit des Nächsten, wahrt dessen „Würde“, tastet dessen Integrität nicht an. Warum? Weil wir nicht „über dem Anderen“ stehen, sondern auf derselben Stufe. Das ist die Quintessenz, das ist der Kern des Bildes von dem, der sich anmaßt, den Anderen führen zu wollen und doch selbst der Führung bedarf, der sich anmaßt Lehrer zu sein und doch selbst immer wieder lernt, der sich anmaßt, den fürsorglichen Bruder zu spielen und doch selbst der Fürsorge bedarf.
Bedeutet das aber nun, dass es am Ende egal ist, was einer macht und wie einer lebt? Nein. Hier wird ja nicht der Beliebigkeit das Wort geredet, sondern es werden uns zwei Maßstäbe an die Hand gegeben, an denen wir alles Handeln ausrichten sollen – unser eigenes Handeln zuerst: Barmherzigkeit und Großzügigkeit.